Höhlenführungen und Museum – Die „älteste“ Großfamilie der Welt
(harz-aktuell) Die Iberger Tropfsteinhöhle am Südwestrand des Harzes, etlichen weit über unsere Region hinaus von Kindesbeinen an bekannt, wurde zum modernen HöhlenErlebnis-Zentrum erweitert und im Juli 2008 neu eröffnet. Es macht seither einem breiten Publikum – Jung und Alt, Laie und Profi – Erdgeschichte lebendig und zeigt einen Höhepunkt der europäischen Höhlenarchäologie. Dabei bietet es eine regionale Sensation, die weltweites Aufsehen erregte! Denn der bislang älteste und längste genetisch nachweisbare Stammbaum der Welt stammt aus dem Landkreis Osterode und wird im zugehörigen „Museum am Berg“ vorgestellt. Die Einrichtung ist damit ein weiterer kulturtouristischer Leuchtturm in Niedersachsen, der auch viele Gäste aus dem Ausland anzieht. Zugleich ist sie ein lebendiger Ort für die Menschen unserer Gegend, da sie sich neben übergreifenden Themen auch mit der Identität der Region beschäftigt. Das Museum ist zudem ein guter Ausgangspunkt für Wanderungen in der Karstlandschaft des Ibergs.
Bereits seit 1874 wird die Iberger Tropfsteinhöhle als touristische Attraktion genutzt. Als jedoch nach der Wende die Gästezahlen der Höhle mit denen des gesamten Westharzes stark zurückgingen, entschied sich der Landkreis Osterode am Harz für die Realisierung des HöhlenErlebnisZentrums. Es galt, der Entwicklung entgegenzuwirken, die Tropfsteinhöhle als Tourismusmagnet zu erhalten und vor allem auf die gestiegenen Service- und Erlebniserwartungen der Besucher zeitgemäß zu reagieren.
Das HöhlenErlebnisZentrum
2011 Museumspreis der Niedersächsischen Sparkassenstiftung für die innovative Vermittlung von Geschichte
2009 Ausgezeichneter Ort im Wettbewerb „Deutschland – Land der Ideen“ unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten
2015 und 2018 Zertifikat für Kinder- und Familienfreundlichkeit
2015/16 und 2017/18 Platz 2 und 8 im Wettbewerb “Ihre Besten im Harz“ in der Kategorie Kultur pur.
Iberger Tropfsteinhöhle – Faszinierende Unterwelt
Zunächst lockt nach wie vor und durch ihre natürliche Anziehungskraft die berühmte, Millionen Jahre alte Iberger Tropfsteinhöhle. Mit ihren noch viel älteren versteinerten Meerestieren, die sich hier finden, ihren wiederum viel jüngeren hohen Sinterkaskaden und mächtigen Bodentropfsteinen ist sie eine faszinierende Unterwelt, die in lebendigen Führungen vermittelt wird. Ihre besondere Entstehung durch die Verwitterung von Eisenerz und die enge Ver-knüpfung zum historischen Bergbau machen sie europaweit einzigartig, auch wenn sie zu den kleineren Schauhöhlen in Deutschland zählt. Kinder erleben sie als märchenhaftes Reich des Zwergenkönigs Hübich, welcher der Sage nach mit seinem Volk im Iberg lebte.
Museum im Berg – Ein Riff auf Reisen
Zur Höhle gelangt man seit dem Umbau nicht mehr über einen Wanderweg durch den Wald, auch findet der Gast nicht mehr den kleinen Kiosk, der über die Jahrzehnte sehr gelitten hat und eben über keine Infrastruktur wie Toiletten oder auch wenigstens ein Dach für die Wartenden verfügte. Nun erreicht man die Höhle ganzjährig unterirdisch nahezu trockenen Fußes durch das bergmännisch neu in den Fels gesprengte, 160 Meter lange „Museum im Berg“. Der Iberg, der sich als imposantes Kalkmassiv über Bad Grund erhebt, war einst ein Korallenriff, entstanden vor 385 Millionen Jahren in der Südsee, etwa in der Gegend des heutigen Madagaskar. Erst durch die Kontinentalverschiebung gelangte er hierher an seinen kühleren Platz auf der Nordhalbkugel der Erde.
Auf seiner Reise hat es die Entstehung der Pflanzen und Tiere, Dinosaurier, Überflutungen, die Auffaltung der Berge und vieles mehr erlebt. Die Entstehung des Riffs, die Reise in den Norden, die Höhlenbildung und die reiche Mineralogie des Berges werden den Besuchern mitten im ehemaligen Riff auf sinnliche Weise vermittelt. Sind also die Iberger Tropfsteinhöhle und das „Museum im Berg“ der Erdgeschichte und Geologie sowie den faszinierenden Erfahrungen im Erdinneren vorbehalten, so ist das „Museum am Berg“ einer archäologischen Sensation und Sternstunde der Wissenschaft vorbehalten.
Museum am Berg – Die „älteste“ Großfamilie der Welt
Gebaut als ein Portal in die Erde, lernt man hier im Museum über Tage die Toten aus der Lichtensteinhöhle und die sensationellen archäologischen und molekularbiologischen Forschungen über die bislang älteste genetisch nachgewiesene Großfamilie der Welt kennen. Die Lichtensteinhöhle, nahe Osterode am Harz und etwa 15 Kilometer vom HöhlenErlebnis-Zentrum gelegen, war vor fast 3.000 Jahren, in der späten Bronzezeit, das Grab eines Familienclans.
1980 entdeckten Höhlenforscher die Knochen der Menschen – von Männern, Frauen, Kindern, dazwischen Bronzeschmuck, Ringe, Armreifen und Gehänge, Blechbeschläge, Gürtel-haken und Knöpfe, aber auch Perlen, Amulette, Kiesel und Fossilien, Werkzeuge und Pfeil-spitzen und viele Spuren kultischer Feiern: etliche Scherben, einige erhaltene Tongefäße, Nadeln und Ahlen, verkohlte Feldfrüchte, Pflanzen- und Speisenreste sowie zahllose unversehrte wie zerschlagene Tierknochen und anderes mehr. Holzkohleschichten von mehreren Feuerstellen ließen darauf schließen, dass die Stätte etwa hundert Jahre lang genutzt wurde, das Fundspektrum wies auf eine Zeit zwischen 1.000 und 700 v. Chr.
Als man die Toten fand, war der erste Gedanke: ein Verbrechen, eine Massenhinrichtung – oder wenigstens ein großes Unglück! Mit dem Wissen, dass sie aus der Bronzezeit stammen, kam aufgrund von Vergleichsfunden in den Kyffhäuserhöhlen ein gruseliger Verdacht hinzu: Menschenopfer? Gar Kannibalismus? Von den Medien wurde das Thema begeistert aufgenommen – jedoch ohne jegliche „gerichtsfeste“ Beweise. Denn die Schädel und Knochen, die seit 1995 archäologisch geborgen wurden, wiesen keine Gewaltspuren auf, man fand Grabbeigaben und nichts, was auf eine Opferauswahl oder ein Verbrechen hindeutete.
Genetisches Archiv von Weltrang und ältester Stammbaum einer Großfamilie
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgten seitdem auch den allerkleinsten Spuren und ermöglichten schließlich einen einst nicht für möglich gehaltenen Blick in die Vergangenheit. 2002 wurde die Annahme eines Opferkults durch erste paläogenetische Forschungsergebnisse zunächst eingeschränkt und musste 2006 (die Archäologie denkt gerade über Varianten nach) revidiert werden: Denn die Höhle konservierte den bislang weltweit ältesten erhaltenen „Genpool“: Anhand der ungewöhnlich gut erhalten Knochenfunde entwickelten die Anthropologen der Universität Göttingen das Verfahren zur Analyse alter DNA weiter und konnten weltweit erstmalig familiäre Strukturen einer urgeschichtlichen Menschengruppe erfassen – mit einer Sicherheit, wie sie bei gerichtsfesten Vaterschaftstests verlangt wird. Es entstand der bislang weltweit älteste Stammbaum einer Großfamilie. Die Höhle war ein Familiengrab. Inzwischen sind 63 Individuen genetisch identifiziert, von denen 48 nachweisbar zum Clan gehören.
2007 folgte schließlich eine weitere Sensation, die weltweit Aufsehen erregte: Ein „Massen-Gentest“ an heute in der Nähe der Lichtensteinhöhle lebenden Menschen wies tatsächlich heutige Nachfahren der Toten und damit eine Siedlungs- und Familienkontinuität über fast 3.000 Jahre nach. Es entstand also nicht nur der älteste, sondern nun auch längste nachgewiesene Stammbaum der Welt. International wurde darüber berichtet. Forschungen wie diese bleiben der Öffentlichkeit bisweilen verschlossen, sind aber nicht minder spannend auch für „ganz normale Sterbliche“. In der Lichtensteinhöhle spiegelt sich ein reiches spirituelles Leben. Wer brachte die Toten in diesen Grenzbereich zwischen zwei Welten? Wie viel Mut war dazu nötig? Wer vollzog die heiligen Handlungen? Wie lebten sie, was konnten sie? Und was haben sie mit uns zu tun? Was erzählen die Toten, wenn wir genau hinsehen und hören?
Das neue Museum macht die komplexe Materie nach langen Jahren der Grabung und Forschung zeitgemäß, lebendig, informativ wie fragend auch Nichtwissenschaftlern zugänglich. Bei der Präsentation eines Großteils aller Funde und der Rückschlüsse auf die technisch und kulturell längst hochentwickelte Lebenswelt stellt es dabei stets Bezüge zum Heute her. Da das echte Höhlengrab der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, wurde es für die Ausstellung originalgetreu nachgebaut und hängt nun – begehbar – und als architektonischer Höhepunkt der Ausstellung unter dem Museumsdach. Verschiedene Medien, Filme zur Wissenschaft und Klanginstallationen bereichern die Vermittlung. Für Kinder werden bronzezeitliche Felsbilder in Trickfilmen zum Leben erweckt, die auf einfache wie humorvolle Weise verschiedene Aspekte Bronzezeit schildern – ihr Wissen von Tod und Leben, ihre Land- und Viehwirtschaft, die Vielfalt ihrer Ernährung und Produkte, die Handelswege und Siedlungsstrukturen, Metallurgie und Bronzeguss, Textilherstellung, medizinische Kenntnisse und vieles mehr.
Schließlich wurde aus der Gruppe der Toten eine Kleinfamilie – Vater, Mutter und Tochter – auf kriminaltechnische Weise plastisch rekonstruiert, Gesichter, die uns vertraut sind! Mit Kopfhörern zu verfolgenden Dialogen zwischen ihnen und einem Nachfahren zeigen, dass uns die Menschen die Bronzezeit näher sind, als wir glauben – und wir nicht unbedingt die fortschrittlicheren.
Öffnungszeiten HöhlenErlebnisZentrum
Juli, August und Oktober täglich, in der übrigen Zeit Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 17.00 Uhr sowie feiertags. In allen niedersächsischen Ferien ist zusätzlich montags, aber im Nov teilweise nur am Wochenende geöffnet. 24.12. geschlossen.
Mit HarzCard freier Eintritt.
Großer Parkplatz, Cafeteria, Museumsshop vorhanden. Untertage herrschen ganzjährig ca. 8 °C. Museum im Berg mit 160 m Länge und 17 % Steigung; Höhle mit 100 Natursteinstufen. Warme Kleidung und festes Schuhwerk sind erforderlich. Das HöhlenErlebnisZentrum ist für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer nur teilweise geeignet.
Anschrift HöhlenErlebnisZentrum
HöhlenErlebnisZentrum
Höhle und Museum am Iberg
An der Tropfsteinhöhle 1
37539 Bad Grund (Harz)
Zentrale 0049-(0)5327-829 391
Direkt 0049-(0)5327-8298018
Fax 0049-(0)5327-829 496
Quelle: Ortrud Krause (Museumsleitung), HöhlenErlebnisZentrum
Bildquelle: HöhlenErlebnisZentrum